Franticek Klossners fotografische Serie «His- & Herstory» ist zwischen 1994 und 1999 aus einer Reihe von Performances entstanden. MIt dem Titel verweist der Künstler auf die weibliche und auf die männliche Wahrnehmung von Kulturgeschichte. Ist unsere Mentalitätsgeschichte eine Geschichte von Männern (HIS-story)? Und wenn ja, von welchen Männern? Wo ist die Kulturgeschichte der Frauen (HER-story)? Um sich diesen Fragen in persönlicher Weise zu stellen, begibt sich der Künstler in körperliche Beziehungen zu Kulturgütern, die er als besonders stellvertretend für die europäische Mentalitätsgeschichte empfindet. Solch symbolhafte Zeugen fand er beispielsweise in den griechischen und römischen Skulpturen der Antikensammlung Bern oder an öffentlichen Plätzen und geheimen Cruising Grounds in der Stadt Rom, während seinem Residenzstipendium am Schweizerischen Institut.
Die Fotografien zeigen ihn nackt im Zweigespräch mit ausgewählten Büsten und Skulpturen, die ihm während nächtlichen Streifzügenen durch Rom begegneten. Zusammen mit dem befreundeten Fotokünstler Gian Paolo Minelli besucht er die "nächtlichen Bekanntschaften" am Tag danach und lässt die "körperliche Annäherung" fotografisch festhalten. Pointiert und überspitzt sagt er dazu: "Kulturgeschichte ist eine rein körperliche Beziehung ... Eros weiss nicht was er entdeckt, er muss es begreifen und ertasten".
Zeitgleich zu dieser mehrjährigen Fotoserie entstanden auch seine vielbeachteten Videoinstallationen mit «Sprechenden Büsten». Im Mappingverfahren projizierte er Videoaufnahmen auf die Büsten des Hermes von Olympia und Apollon vom Belvedere. Damit verlieh er den griechischen Gottheiten eine prägnante Stimme der Gegenwart. In einer Strassenbefragung hatte er Passantinnen und Passanten zu ihrer «Ersten Begegnung mit Kunst" befragt. Aus diesen Erzählungen resultierte ein äusserst poetischer Diskurs zur Gegenwartskunst zwischen den beiden Halbbrüdern Hermes und Apollon. Auf einer weiteren Ebene waren diese Videoinstallationen aber auch eine listenreiche Antwort des Videopioniers auf die damalige Polemik, welche die Medienkunst gegenüber der Malerei und der Bildhauerei mit der Begründung abwertete, dass es bei Videobändern kein Original, sondern nur Kopien gäbe. Dieser konservativen Haltung stellt sich Franticek Klossner in lustvoll körperlicher Weise entgegen und beweist mit seinen Aktionen, dass auch die hehren Skulpturen der Antikensammlung lediglich Gipskopien sind und letztlich nur sein eigener nackter Körper ein Original ist.
So rebelliert der Performance- und Medienkünstler einerseits gegen den konventionellen Kunstbegriff der 1980er und 1990er Jahre, andererseits provozierte er das bürgerliche Kunstempfinden, indem er die berühmten Werke der griechischen Antike (wie den Diskuswerfer von Myron oder den Barberischen Faun) unbekümmert als Performancepartner einbezog. In selbstverständlicher Weise signalisiert der Künstler seine Nähe zu Gender-Themen, zur Frauen- und Schwulenbewegung und zur kulturellen Vielfalt. In kämpferischer aber auch leicht schüchterner Weise, will er sein Kunstpublikum dazu verführen, das eigene Denken zu Geschlechternormen und Geschlechtsidentitäten zu hinterfragen. Seine Denkanstösse sind nicht aufdringlich oder provozierend, sondern listig und verführerisch. Sie lassen dem Publikum genügend Zeit zur Hinterfragung innerer Bilder. Kulturelle Vielfalt, sozialer Wandel und die Auseinandersetzung mit alten und neuen Vorstellungen von Männlichkeit sind untrennbar mit Franticek’s Werk verbunden. So ist es nicht verwunderlich, dass er sich seiner Kleider entledigt und sich mit viel Selbstironie dem Konzept der «Kalokagathia» entgegenstellt, dem griechischen Ideal der körperlichen und geistigen Vortrefflichkeit: «kalòs kaì agathós»
Auf dem Wickeltisch der Kunstgeschichte, Franticek Klossner, 1996, Fotografie aus der Serie: «His- & Herstory», Sammlung des Kunstmuseums Bern
Ein schweigendes Statement am Todesort von Pier Paolo Pasolini in Ostia, 1997, Performance von Franticek Klossner fotografiert von Gian Paolo Minelli
«Cultural history is a purely physical relationship», Performance im Park der 229 Büsten, Monte Pincio, Roma, 1997, Foto: Gian Paolo Minelli
Wie zeitgenössische Kunst den neuen Mann darstellt - Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern (2013 - 2014) ist ein Beitrag zur Diskussion über neue Rollendefinitionen des männlichen Geschlechts. Wie definieren sich Männer in der Kunst seit dem Feminismus, wie reflektieren sie über ihr Geschlecht und dessen Darstellung? Während der bevorzugte Blickwinkel bei der Beschäftigung mit weiblichen Künstlern auch heute noch über das "Geschlecht" erfolgt, ist dies für die Betrachtung männlicher Künstler immer noch ein neuer Blickwinkel. Und da sich die feministische Kunst endlich in den großen Institutionen etabliert hat, ist es an der Zeit, auch jene Kunst näher zu betrachten, die das Männerbild und die Vorstellungen von Männlichkeit in emanzipierter Weise neu definiert. Sowohl die sexuelle Revolution als auch die Frauen- und Schwulenbewegung veränderten die Sicht der Männer auf sich selbst und die Wahrnehmung von dem was als Männlichkeit gedeutet wird. Die Ausstellung geht daher der Frage nach, wie zeitgenössische westliche Künstler beiderlei Geschlechts seit den 1960er Jahren neue Männlichkeitsvorstellungen erfunden oder bestehende erschüttert haben. Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern umfasst Werke von Vito Acconci, Bas Jan Ader, Luc Andrié, Lynda Benglis, Luciano Castelli, Martin Disler, Valie Export & Peter Weibel, Gelitin, Pascal Häusermann, Alexis Hunter, Cathy Joritz, Jesper Just, Jürgen Klauke, Frantiček Klossner, Elke Silvia Krystufek, Marie-Jo Lafontaine, Peter Land, Littlewhitehead, Sarah Lucas, Urs Lüthi, Manon, Paul McCarthy, Tracey Moffatt, Josef Felix Müller, Ursula Palla, Adrian Piper, Anne-Julie Raccoursier, Ugo Rondinone, Carole Roussopoulos, Rico Scagliola & Michael Meier, Sylvia Sleigh, Nedko Solakov, Megan Francis Sullivan, Sam Taylor-Johnson, Costa Vece, William Wegman, Silvie Zürcher.