Kulturgeschichte ist eine rein körperliche Beziehung


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«Eros weiss nicht, was er entdeckt, er muss es begreifen und ertasten»

Dr. Manuel Rodriguez

 

Die fotografische Serie «His- & Herstory» ist zwischen 1994 und 1999 aus einer Reihe von Performances entstanden. Mit dem Titel verweist der Künstler auf die weibliche und auf die männliche Wahrnehmung von Kulturgeschichte. Ist unsere Mentalitätsgeschichte eine Geschichte von Männern? Und wenn ja, von welchen Männern? Der Künstler begibt sich auf die Suche und setzt sich in Beziehung zu griechischen und römischen Statuen in der Antikensammlung Bern oder an öffentlichen Plätzen und heimlichen Cruising Grounds in der Stadt Rom.

 

Die Fotografien der römischen Werkreihe zeigen ihn nackt im Zwiegespräch mit Skulpturen, die ihm während nächtlichen Streifzügen begegnet sind. Zusammen mit dem befreundeten Fotografen Gian Paolo Minelli besuchte er die "nächtlichen Bekanntschaften" am Tag danach und liess die "körperliche Annäherung" fotografisch festhalten. Pointiert und überspitzt sagte er dazu: «Kulturgeschichte ist eine rein körperliche Beziehung. Eros weiss nicht, was er entdeckt, er muss es begreifen und ertasten».

 

Zeitgleich zur Fotoserie entstanden auch seine Videoinstallationen mit «Sprechenden Büsten». Im Mappingverfahren projizierte er Videos auf die antiken Büsten des Hermes von Olympia und Apollon vom Belvedere und verlieh den griechischen Gottheiten eine prägnante Stimme der Gegenwart.

 

Diese Videoinstallationen sind aber auch eine listige Antwort des Videopioniers auf die damalige Polemik, welche die Medienkunst gegenüber der Malerei und der Bildhauerei mit der Begründung abwertete, dass es bei Videobändern kein Original, sondern nur Kopien gäbe.

 

Dieser konservativen Haltung stellt sich Franticek Klossner in spielerischer Weise entgegen und beweist mit seinen Aktionen, dass auch die hehren Skulpturen der Antikensammlung lediglich Gipskopien sind und letztlich nur sein eigener nackter Körper ein Original ist. Dies lässt er sich vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern bestätigen, indem er ein DNA-Profil erstellen lässt. Die festgestellte Merkmalskombination ist dabei so selten, dass sie tatsächlich individualisierend ist: Franticek ist 1 "Unikat" in 10,9 Milliarden Männern.

 

So rebelliert der Performance- und Medienkünstler einerseits gegen den konventionellen Kunstbegriff der 1980er und 1990er Jahre, andererseits provozierte er das bürgerliche Kunstempfinden, indem er die berühmten Werke der griechischen Antike unbekümmert als Performancepartner einbezog. In selbstverständlicher Weise signalisiert der Künstler seine Nähe zu Gender-Themen, zur Frauen- und Schwulenbewegung und zur kulturellen Vielfalt. Er will sein Publikum dazu verführen, das eigene Denken zu Geschlechterrollen und Geschlechtsidentitäten zu hinterfragen. Kulturelle Vielfalt, sozialer Wandel und die Auseinandersetzung mit alten und neuen Vorstellungen von Männlichkeit sind untrennbar mit Franticek’s Werk verbunden. So ist es nicht verwunderlich, dass er sich seiner Kleider entledigt und sich mit viel Selbstironie dem Konzept der «Kalokagathia» entgegenstellt, dem griechischen Ideal der körperlichen und geistigen Vortrefflichkeit: «kalòs kaì agathós».


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Auf dem Wickeltisch der Kunstgeschichte, Franticek Klossner, 1996, Fotografie aus der Serie: «His- & Herstory», Sammlung des Kunstmuseums Bern


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Una forza del passato, Ein schweigendes Statement am Todesort von Pier Paolo Pasolini in Ostia, 1997, Performance von Franticek Klossner fotografiert von Gian Paolo Minelli


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«Cultural history is a purely physical relationship», Performance im Park der 229 Büsten, Monte Pincio, Roma, 1997, Foto: Gian Paolo Minelli


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Wie zeitgenössische Kunst den neuen Mann darstellt - Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern (2013 - 2014) ist ein Beitrag zur Diskussion über neue Rollendefinitionen des männlichen Geschlechts. Wie definieren sich Männer in der Kunst seit dem Feminismus, wie reflektieren sie über ihr Geschlecht und dessen Darstellung? Während der bevorzugte Blickwinkel bei der Beschäftigung mit weiblichen Künstlern auch heute noch über das "Geschlecht" erfolgt, ist dies für die Betrachtung männlicher Künstler immer noch ein neuer Blickwinkel. Und da sich die feministische Kunst endlich in den großen Institutionen etabliert hat, ist es an der Zeit, auch jene Kunst näher zu betrachten, die das Männerbild und die Vorstellungen von Männlichkeit in emanzipierter Weise neu definiert. Sowohl die sexuelle Revolution als auch die Frauen- und Schwulenbewegung veränderten die Sicht der Männer auf sich selbst und die Wahrnehmung von dem was als Männlichkeit gedeutet wird. Die Ausstellung geht daher der Frage nach, wie zeitgenössische westliche Künstler beiderlei Geschlechts seit den 1960er Jahren neue Männlichkeitsvorstellungen erfunden oder bestehende erschüttert haben. Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern umfasst Werke von Vito Acconci, Bas Jan Ader, Luc Andrié, Lynda Benglis, Luciano Castelli, Martin Disler, Valie Export & Peter Weibel, Gelitin, Pascal Häusermann, Alexis Hunter, Cathy Joritz, Jesper Just, Jürgen Klauke, Frantiček Klossner, Elke Silvia Krystufek, Marie-Jo Lafontaine, Peter Land, Littlewhitehead, Sarah Lucas, Urs Lüthi, Manon, Paul McCarthy, Tracey Moffatt, Josef Felix Müller, Ursula Palla, Adrian Piper, Anne-Julie Raccoursier, Ugo Rondinone, Carole Roussopoulos, Rico Scagliola & Michael Meier, Sylvia Sleigh, Nedko Solakov, Megan Francis Sullivan, Sam Taylor-Johnson, Costa Vece, William Wegman, Silvie Zürcher.


Exploring Masculinity Through Art

Frantiček Klossner